Toast Hawai, Kalte Ente, Lufthansa-Cocktail, Musicbox, Disco und Eiserner Schutzmann; all das sind Dinge, die heute Erinnerungen wecken an eine Zeit, die noch gar nicht so lange her ist, die aber doch so ganz anders war als das Hier und Jetzt. Die Baugruppe „Markplatz Rheinland“ führt die Besucher*innen zurück in eine zeitgeschichtliche Vergangenheit. Die Lebenswelt der Großeltern und Eltern wird hier mit originalen historischen Gebäuden, Einrichtungen, Autos, Kleidern und vielem mehr wieder „lebendig“.

Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Nach und nach wird rund um den Marktplatz Rheinland eine dörfliche Siedlung entstehen, deren Gebäude und Geschäfte die Zeit zwischen 1945 und unserer Gegenwart widerspiegeln.
Nicht nur die Gebäude und ihre Einrichtungen geben Einblicke in die Zeit; Interviews mit Zeitzeugen, Filme und Berichte aus zeitgenössischen Medien visualisieren den Alltag in der Nachkriegszeit. Lebensstile, technische Entwicklungen im Haushalt und in den Gewerben, Gartengestaltung, Veränderungen in der Infrastruktur werden authentisch vermittelt.
Die Komplexität dieser vergangenen Lebenswelt kann so annäherungsweise dargestellt werden. Durch das Zusammenspiel von erhaltenen Originalobjekten und der Befragung von Zeitzeugen, die mit diesen in direktem Zusammenhang stehen, wird gerade hier eine sehr große Authentizität erreicht.
Am Anfang war… die Notzeit
Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, Städte und Dörfer liegen in Trümmern, der Wiederaufbau steht an. Das später so bezeichnete Wirtschaftswunder ist noch in weiter Ferne. Mit der Darstellung dieser Notzeit nach dem Krieg starten die Besucher in die Baugruppe. Neben den Originalresten eines gesprengten Bunkers deuten Trümmerhaufen die unmittelbare Nachkriegssituation und den beginnenden Wiederaufbau an. Eine Splitterschutzzelle als sogenannter „Einmannbunker“ aus Jülich steht hier als Relikt des vergangenen Krieges.

Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Für die zahlreichen ausgebombten Familien, die Vertriebenen und Flüchtlinge müssen provisorische Notunterkünfte geschaffen werden. In zwei Nissenhütten – halbrunde Wellblechbaracken – werden die improvisierten Lebensverhältnisse dieser Notzeit verdeutlicht. Es wird gezeigt, dass aus ehemaligen Stahlhelmen Kochtöpfe oder Siebe wurden und dass alte Messingkartuschen zu Blumenvasen umgearbeitet werden konnten. In den provisorischen Unterkünften haben in den Nachkriegsjahren viele schutzsuchende Menschen wohnen müssen. Oftmals „hausten“ mehrere Familien auf engstem Raum – meist nur durch eine provisorische Trennwand aus Teppichen oder Decken voneinander getrennt.

Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Die hygienischen Verhältnisse waren aus heutiger Sicht in diesen Jahren sehr bedenklich bis katastrophal. Der in der Retrospektive oft gelobte zivilisatorische Fortschritt der folgenden Jahrzehnte wird auch in der neuen Baugruppe nachvollziehbar werden. Sowohl das „Plumsklo“ auf dem Hof als auch die ersten Badezimmer mit WC werden gezeigt.
Wirtschaftswunder
Das langsam einsetzende Wirtschaftswunder erreicht lange nicht jeden. Bei der Einführung der D-Mark im Juni 1948 startet die Bevölkerung mit einem “Kopfgeld” von 40 DM. Die neuen Scheine sind zunächst im Aussehen noch fremd; die 20-DM-Scheine erinnern an amerikanische Dollarnoten.
Mit der Zeit aber nimmt die Wohlstandsrepublik deutlich Konturen an – nicht nur bei den Konfektionsgrößen. Die “Fresswelle” rollte durchs Land, der Bauboom setzt ein. Musik- und Heimatfilme begleiten die erste – wenn auch noch jahrelang auf die wohlhabenden Bevölkerungsteile beschränkte – “Reisewelle” in die Berge bis nach Italien. Aber auch Rhein und Mosel sind beliebte Reiseziele.

Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Kulturgeschichtliche Maßstäbe aber setzt die Amerikanisierung, einhergehend mit einer sich rasant entwickelnden Technisierung: Kühlschrank und Fernsehgerät, Kaugummi und Straßenkreuzer, Mickey Mouse und Tupperparty, Nylonstrumpf und Lederjacke, Petticoat und Rock ’n ’Roll. Die Musicbox wurde zur zentralen Institution der Jugendlichen und Halbstarken. Eine solche zentrale Institution wurde auch die Milchbar aus Brühl, die seit 2019 am Marktplatz Rheinland steht. 1955 nach amerikanischem Vorbild errichtet, wurde sie schnell zum Treffpunkt der Jugendlichen in Brühl.
Welche Rolle „zeittypische“ Elemente im Alltag der Rheinländerinnen und Rheinländer spielten, wird sich in den geplanten Wohnungseinrichtungen am „Marktplatz Rheinland“ widerspiegeln. Im Bungalow Kahlenbusch von 1958 und im Quelle-Fertighaus von 1965 sind bereits entsprechend authentische Einrichtungen zu sehen, die aus in sich geschlossenen Ensembles bestehen.
Technischer Fortschritt
Das 20. Jahrhundert ist eine Zeit großer gesellschaftlicher Veränderungen. Im Laufe der Jahrzehnte entwickeln sich zahlreiche neue Gebäudetypen, die durch die rasch fortschreitende Technisierung entstanden:

Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Die Energieversorgung mit Strom bringt Veränderungen im Straßenbild. Transformatorenhäuschen, Hochspannungs- und Freilandleitungen liefern die neue Energie in jedes Haus. Neue Kommunikationstechnologien wie das Telefon verändern den Alltag. Wer sich keinen privaten Hausanschluss leisten kann, nutzt die zunehmend häufiger auf den Straßen oder Plätzen stehenden Telefonzellen, wie sie am Marktplatz Rheinland zu sehen sind.
Das neue Wunder des Fernsehens verändert mit den privaten Dachantennen das Aussehen der Häuser und im Inneren mit den neuen Geräten die Möblierung der Wohnzimmer, wie im Quelle-Fertighaus.
Der zunehmende Autoverkehr führt innerhalb der Orte zur Einrichtung von Parkplätzen und außerhalb zur Errichtung von Tankstellen mit Autowerkstätten. So gab es in den 1950er Jahren etwa 800 Rheinpreußen-Tankstellen.

Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Das 20. Jahrhundert bringt nicht nur gravierende Veränderungen in der städtebaulichen Entwicklung mit sich. Auch die Bauweisen der Profanbauten, die bis in das 19. Jahrhundert noch stark regional ausgerichtet waren und so das Orts- und Landschaftsbild maßgeblich prägten – wie in den vier regionalen Baugruppen des Museums zu sehen ist – ändern sich nun grundlegend.
Überregionale Baustile führen zu einer Zurückdrängung der regionalen Besonderheiten. Bauweise und Materialien werden durch die industrielle Produktion und die vereinfachten Transportmöglichkeiten auch über weite Strecken vereinheitlicht. Dennoch verändern die Städte ihr Aussehen und Erscheinungsbild nicht über Nacht. Bis heute finden sich in den Kleinstädten und Dörfern des Rheinlandes Gebäude unterschiedlichen Alters nebeneinander.
Weitere Informationen zum Marktplatz Rheinland finden Sie unter www.marktplatz-rheinland.lvr.de.