Die Wildkatze (Felis silvestris silvestris)
Zum Jahresstart sind wir im LVR-Freilichtmuseum mit einer kleinen ökologischen Sensation überrascht worden. Seit geraumer Zeit hängen Nachtsichtkameras in entlegenen Bereichen des Freilichtmuseums und dokumentieren, welche wilden Bewohner sich dort tummeln. Nachdem bereits junge Füchse, Rehe oder gar ein Dachs Ihren Auftritt im Rampenlicht der versteckten Kamera hatten, glückten nun die Aufnahmen einer ganz besonderen Einwohnerin unseres Museumswaldes: einer Wildkatze (Felis silvestris silvestris).
In den Aufnahmen sind deutliche Merkmale erkennbar, die für die Unterscheidung gegenüber einer Hauskatze (Felis catus) kennzeichnend sind: Die wuchtige, untersetzt wirkende Statur, das breite Gesicht, die verwaschen wirkende Fellzeichnung am Körper und vor allem der buschige Schwanz mit den charakteristischen, schwarzen Streifen.

Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Vanessa Sterner
Manche Fachliteratur besagt, „Wildkatzen können wesentlich stärker als unsere Hauskatzen werden“. Ein ausgewachsener Kuder – so die Bezeichnung der männlichen Wildkatze – könne bis zu acht Kilogramm wiegen und eine Länge von 80 bis 90 Zentimeter erreichen. [1]
Ganz sicher bestimmen und wissenschaftlich nachweisen ließe sich die Wildkatze jedoch nur mit einer genetischen Analyse, etwa anhand einer Fellprobe. Denn theoretisch können auch „Blendlinge“ vorkommen, also Mischlinge aus Haus- und Wildkatzen, die der Wildkatze sehr ähnlich sehen können. Während dies in anderen Teilen Europas sogar die Hauptgefährdung der Arterhaltung darstellt, ist Hybridisierung von Haus- und Wildkatzen in Deutschland allerdings eine nur geringe Gefährdungsursache. [2],[3]
Das Vorkommen dieser als extrem scheu geltenden Wildtierart im Museumswald kann als Indiz dafür herangezogen werden, wie naturnah unser Gelände ist: Wissenschaftler vermuten, dass Wildkatzen äußerst empfindlich auf Störungen durch den Menschen reagieren. Wie empfindlich Wildkatzen tatsächlich sind, soll eine aktuelle Studie der Deutschen Wildtierstiftung untersuchen und klären, welche Auswirkung Lärmquellen und andere menschliche Einflüsse auf das Verhalten von Wildkatzen haben und inwieweit solche Faktoren die Qualität von Wildkatzenlebensräumen mindern. Der Museumswald in Kommern wird jedenfalls in weiten Teilen seit vielen Jahren kaum oder gar nicht mehr bewirtschaftet, womit auch seltenen und scheuen Wildtieren hier bei uns ein Lebensraum geboten wird.

Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Vanessa Sterner
Die von Wildkatzen bevorzugten Lebensräume sind deckungsreiche Laub- und Mischwälder. In Deutschland kommen sie vor allem noch in den Mittelgebirgen ohne hohes Schneeaufkommen vor, wie dem Harz, dem Kaufunger Wald, Taunus, Eifel und Hunsrück, Pfälzer und Thüringer Wald.
Als Lauerjäger der Dämmerung und Nacht hat die Wildkatze es bei hoher Schneeauflage nämlich unter anderem schwer, der Jagd nach ihrer Lieblingsbeute erfolgreich nachzukommen. „Über 90 % ihrer Beute stellen Kleinsäuger dar“, berichtet die Biologische Station im Kreis Euskirchen. [4] Im Wald sind dies überwiegend Rötel-, Gelbhals- und Waldmaus, in wiesenreichen Gebieten Scher- und Feldmäuse. [5] Daneben erbeutet sie auch gelegentlich Fische, kleinere Amphibien und Reptilien sowie Vögel. Auch Kaninchen und Hasen sowie in seltenen Fällen Rehkitze stehen auf ihrem Speiseplan. [6]
Die meiste Zeit des Jahres sind Wildkatzen ausgesprochene Einzelgänger, die feste Reviere besetzen. Das Territorium von Wildkatzen variiert in seiner Größe in Abhängigkeit vom Geschlecht des jeweiligen Tieres und dem Nahrungsangebot im Reviers. [7] Weibliche Katzen besetzen in der Regel Reviere zwischen 300 und 800 Hektar, das der Kuder kann zwischen 1.500 und 3.000 Hektar betragen. Während der Ranzzeit im Winter (Januar bis März) kann ein Kuder auf der Suche nach einer Partnerin mehrere weibliche Reviere durchstreifen. Dabei ist das kreischende Ranzgeschrei weithin hörbar – ähnlich dem der Hauskatze. Die Aufzucht der Jungen ist allein Sache der weiblichen Katze. Nach einer Tragzeit von neun Wochen bringt die Kätzin drei bis fünf blinde Junge in einem sicheren Versteck zu Welt. Hierfür können hohle Baumstämme oder Felshöhlen ebenso dienen, wie verlassene menschliche Bauten (Hochsitze), Totholzhaufen oder Holzpolter. Die Jungen werden etwa zwei Monate lang von der Katze gesäugt, ehe sie zwei weitere Monate später im Herbst selbstständig werden und sich ein eigenes Revier suchen.
Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Wildkatzen intensiv bejagt und hierdurch bis auf wenige Vorkommen ausgerottet. Durch zahlreiche Schutzprogramme der letzten Jahrzehnte konnten sich die Bestände wieder erfreulich erholen. Dennoch ist die Wildkatze weiterhin auf der Roten Liste als „gefährdet“ eingestuft. [8] Ihre geringe Reproduktionsrate sowie hohe Verluste unter den Jungtieren (bis zu Dreiviertel Wurfes überleben nicht die ersten vier Monate) bedingen eine sehr langsame Ausbreitung in ursprüngliche Verbreitungsgebiete einerseits und die weitere Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen andererseits. Insgesamt ist das Vorkommen der knapp 6.000 frei lebenden Wildkatzen noch sehr inselhaft. [9] Einer der Verbreitungsschwerpunkte liegt hier bei uns in der Eifel, wo ihr Bestand aktuell auf 200 bis 300 Tiere geschätzt wird. [10]
Zu den natürlichen Fressfeinden vor allem junger Wildkatzen zählen neben Uhu, Fuchs und Baummarder die in Deutschland selber ebenfalls seltenen Luchse und Wölfe.
Eine weit größere Gefahr für Wildkatzen als durch Fressfeinde geht jedoch von der zunehmenden Zersiedelung der Landschaft und dem damit verbundenen Verlust geeigneter Lebensräume sowie dem Ausbau des Straßennetzwerkes aus. Laut Deutscher Wildtiefstiftung stellt die Kollision mit Fahrzeugen sogar die Haupttodesursachen für Wildkatzen dar: „Schätzungen gehen je nach Populationsdichte und vorkommenden Straßentypen von 5 % bis 20 % der im jeweiligen Jahr ansässigen Individuen aus“. [11] Eine wirkungsvolle Methode, diese Verluste zu verringern, stellt der Bau von sogenannten „Querungshilfen“ an stark befahrenen Straßen dar, wodurch sichere Wanderkorridore zwischen den einzelnen Vorkommen geschaffen werden. Auch andere scheue Tierarten nutzen diese Tunnel oder Wildbrücken für die gefahrlose Querung von Straßen.
Inwieweit es sich übrigens bei der im Freilichtmuseum gefilmten Wildkatze um einen festen Bewohner oder nur um ein durchstreifendes Tier handelt, ist nicht zu sagen. Sie ist jedenfalls herzlich willkommen, sollte sie sich zum Bleiben entscheiden.
[1] Krebs, H. (2005): Vor und nach der Jägerprüfung, 666 S.
[2] Meinig, H.; Boye, P.; Dähne, M.; Hutterer, R. & Lang, J. (2020): Rote Liste und Gesamtartenliste der Säugetiere (Mammalia) Deutschlands. – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (2): 73 S.
[3] Biologische Station im Kreis Euskirchen e.V., 2004: Faecherheft WiKa. https://www.biostationeuskirchen.de/wp-content/uploads/2020/05/Faecherheft_Wika.pdf
[4] Biologische Station im Kreis Euskirchen e.V., 2004: Faecherheft WiKa. https://www.biostationeuskirchen.de/wp-content/uploads/2020/05/Faecherheft_Wika.pdf
[5] Deutsche Wildtierstiftung (2021), online unter: https://www.deutschewildtierstiftung.de/wildtiere/wildkatze#fakten
[6] Thiel, C. (2004): Streifgebiete und Schwerpunkte der Raumnutzung von Felis silvestris silvestris in der Nordeifel – eine Telemetriestudie 195 S.
[7] Thiel-Bender, C. und Trinzen, M. (2021), online unter: http://www.xn--europischewildkatze-kwb.de/lebensweise.html
[8] Meinig, H.; Boye, P.; Dähne, M.; Hutterer, R. & Lang, J. (2020): Rote Liste und Gesamtartenliste der Säugetiere (Mammalia) Deutschlands. – Naturschutz und Biologische Vielfalt 170 (2): 73 S.
[9] Deutsche Wildtierstiftung (2021), online unter: https://www.deutschewildtierstiftung.de/wildtiere/wildkatze#fakten
[10] Thiel, C. und Trinzen, M. (2021), online unter: http://wildkatze-nrw.de/wildkatzeninformationen/verbreitung-in-nrw/
[11] Deutsche Wildtierstiftung (2021), online unter: https://www.deutschewildtierstiftung.de/aktuelles/todesfalle-strassenverkehr
Echt super formulierter Beitrag! Finde ich sehr beeindruckend, wie Eure Mitarbeiter sich reinhängen und Themen, die einfach zu wenig Aufmerksamkeit erhalten spannend und verständlich rüberbringen. Freue mich schon auf den nächsten Besuch im Museum und was es dann Neues zu entdecken gibt!
Sehr spannend! Man weiß viel zu wenig über Tiere in unseren Gefilden. Dann hoffe ich, dass sich die Wildkatze nochmal öfter im Museumswald blicken lässt. 🙂