Am Marktplatz Rheinland steht eine Milchbar, die im August 2021 eröffnet wurde. Ursprünglich wurde sie im Sommer 1955 in Brühl in der Carl-Schurz-Straße erbaut. In den ersten Jahren war die Milchbar vor allem bei der Brühler Jugend ein sehr beliebter Treffpunkt. In den folgenden Jahrzehnten durchlebte die Milchbar allerdings eine wechselvolle Geschichte.

Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Vorgeschichte
Der gelernte Kaufmann Josef Eich kehrte nach dem 2. Weltkrieg aus der Gefangenschaft in den USA heim nach Brühl. Dort fand er schnell zurück in seine alte Anstellung beim Wohnungsamt der Stadt. Als Anfang der 1950er-Jahre Wirtschaft und Handel langsam wieder Schwung aufnehmen, erwachte auch in Josef Eich der Unternehmergeist.
Inmitten der Trümmer errichtete er zusammen mit seiner Frau in der Carl-Schurz-Straße eine kleine Holzbude, um hier einen Kiosk zu betreiben.
In dieser Zeit gab es im Umfeld noch keine Geschäfte, weshalb der Verkauf schon bald sehr gut lief. Tochter Elly erinnerte sich, dass sie neben Zigaretten vor allem Pralinen verkauften.
Das lag an der strategisch günstigen Lage zwischen Bahnhof und Krankenhaus. Wer damals einen Krankenbesuch machen wollte, kam am Kiosk der Eichs vorbei und konnte noch schnell Pralinen als Mitbringsel kaufen. Daneben verkaufte Elly Eich aber auch Eis, Schokolade und Kaugummi.
Die Geschäfte liefen so gut, dass die Eichs alsbald überlegten, wie sie ihr kleines Unternehmen ausweiten könnten. Statt der Bretterbude sollte ein festes Lokal errichtet werden.

Der Traum war eine Milchbar nach amerikanischem Vorbild. In Köln war diese Form bereits sehr beliebt. Mit seiner Tochter Elly fuhr Josef Eich also kurzentschlossen in die Domstadt, um sich inspirieren zu lassen. Schnell entstanden erste Ideen, wie ein solches Gebäude aussehen könnte.
Ein Architekt wurde beauftragt, die Zeichnungen anzufertigen und im Juli 1954 stellte Josef Eich den Bauantrag. Unverzüglich begannen die Bauarbeiten und am 12. August 1955 konnte die Milchbar feierlich eröffnet werden.
Innenausstattung
Die Gäste erwartete eine bunte, farbenprächtige Ausstattung. Die Theke war im zeittypischen „Babyblau“ gehalten, Decke und Profilbretter über der Theke waren in Blau- und Gelbtönen gestrichen und auf dem Fußboden lagen blaue Linoleumfliesen. Jede Wand zierte eine andere Tapete in unterschiedlichen Farben und Mustern, von mintgrün bis altrosa.
Der „Hingucker“ der Milchbar aber befand sich hinter der Theke: eine abstrakt gemalte Unterwasser-Landschaft im typischen Stil der 1950er-Jahre sowie ein stilisiertes Gesicht mit Trinkhalm und Milchglas. Gemalt hatte beide der Brühler Malermeister Franz Vogel, ein Verwandter der Familie Eich.
Großer Fund
Als die Milchbar 2019 ins LVR-Freilichtmuseum Kommern versetzt wurde, waren beide Wandbilder noch hinter Tapete und Regalwand verborgen und es war nicht erkennbar, ob sie noch – zumindest in Resten – vorhanden waren.
Natürlich war die Freude groß, als die ersten Farbflächen der originalen Bemalung bei einer späteren vorsichtigen Demontage der Regalwand zum Vorschein kamen. Insgesamt stellte sich schnell heraus, dass das gesamte Wandbild hinter der Theke noch existierte und in einem recht guten Zustand war.
Nun stellte sich die Frage, ob auch das zweite Wandbild mit stilisiertem Gesicht, Strohhalm und Milchglas noch vorhanden war. Hier war es deutlich schwieriger, denn dieser Teil der Wand war mehrfach übertapeziert worden. Auch hier wurde vorsichtig Schicht für Schicht freigelegt und zum Vorschein kam die originale Bemalung von 1955.
Nach aufwändiger Restaurierung sind beide Wandbilder nun wieder in der Milchbar zu sehen.
Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Next Generation
Die Eröffnung ist 1955 ein voller Erfolg. Vor allem die Jugend ist froh, dass es nun ein Lokal gibt, in dem sie sich in alkoholfreier Atmosphäre und somit in erlaubtem Rahmen ohne Eltern oder Lehrerinnen und Lehrer treffen kann.
Die Jahre der Milchbar gehen ins Land. Noch in den 1950er-Jahren gab es in der Familie Eich erste Überlegungen, welche der beiden Töchter die Leitung der Milchbar übernehmen sollte: Elly oder ihre Schwester Trudi?
Trudi hatte sich bereits Jahre zuvor in den englischen Soldaten William Smith verliebt. Bill – wie er auch genannt wurde – war mit der britischen Rheinarmee in Brühl stationiert. Die beiden heirateten, zogen nach England und bekamen zwei Kinder. Nun aber kehrte die junge Familie nach Brühl zurück und Trudi und Bill übernahmen die Milchbar.

Foto: Archiv LVR-Freilichtmuseum Kommern
1960er-Jahre
Bereits in den 1960er-Jahren war die eigentliche Milchbar-Zeit vorbei. Petticoat und Nierentisch wurden unmodern. Statt Milchshakes und Eis bot die Milchbar nun Bier, Schnaps und kleine Speisen an. Aus der Milchbar wurde eine Eckkneipe.
Um die Attraktivität für die Gäste zu steigern, bauten Josef Eich und Bill Smith 1961 einen Billardraum an, der bis zum Schluss von den verschiedenen Gästegruppe rege genutzt wurde.

Die Möblierung im Schankraum änderte sich dagegen zunächst nicht. Nur die alten buntgemusterten Tapeten der 1950er-Jahren verschwanden. Stattdessen wurden die Wände nun großflächig gestrichen, in dunklen Grün- und Rottönen.
Rockerzeit
Ab Mitte der 1960er-Jahre änderte sich in der Milchbar die Gäste-Klientel. Der Motorradclub aus Brühl entdeckte die ehemalige Milchbar für sich und errichtete dort sein Stammquartier. Draußen standen nun schwere Motorräder auf dem Bürgersteig und drinnen residierte „Rockerkönig Moses“.

Eine „Gesichtskontrolle“ am Eingang sorgte dafür, dass sie Teile der Milchbar schnell für sich allein hatten. Vor der Tür wurde zudem ein „Passiergeld“ von 1 DM erhoben, so dass die meisten Passanten vor der Milchbar die Straßenseite wechselten.
Nach der Sperrstunde dröhnte mitten in der Nacht lautes Motorengeknatter durch die Carl-Schurz-Straße und riss die genervten Anwohner aus ihrem Schlaf. Die örtliche Polizei zählte nun häufiger zu den Gästen in der Milchbar, aber nicht um ein Bier mitzutrinken.
Schon bald rutschten die Rocker ins Drogenmilieu ab. Der zunehmende Handel mit Rauschgift führte verstärkt zu Verhaftungen und endet erst, als Rockerkönig Moses selbst an Heroin starb.
Musikkneipe
Danach folgten ruhigere Jahre. Wirt Bill Smith erneuerte das Mobiliar der Milchbar. Stabile Tische und gepolsterte Bänke in Eiche-rustikal sollten aus der Milchbar eine gutbürgerliche Schankwirtschaft machen. Die Theke wurde dazu passend in Kupferbraun gestrichen und über ihr hingen nun schwere Lampen mit imitiertem Ochsenjoch aus Holz.
Wirt Bill war aber nicht allein in seiner Kneipe. Inzwischen half Sohn Mike hinter der Theke. Seinem Vater zuliebe hatte er sein Englisch-Studium abgebrochen.
Nach dem Tod von Bill Smith 1998 übernahm Mike dann allein die Wirtschaft. In den folgenden Jahren machte er aus der ehemaligen Milchbar eine Musikkneipe, die bekannt war für Rockmusik und guten Whiskey. Hinter der Theke fand sich ein stets gut gefülltes Sortiment an edlen und seltenen Bränden.
Auch der Schankraum wurde erneuert und umgestaltet:
Die Theke bekam nun ein kräftiges Rot, genau wie einige der Wände. An diesen hingen gerahmte Plattencover verschiedener Rockbands.

Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Die alte Jukebox war bis zum Schluss in Benutzung. Die aktuelle Musik aber wurde in den letzten Jahren von CDs abgespielt.

Im Rahmen meiner Recherchen zu den Cafés und Kaffeehäusern in Nordrhein-Westfalen war ich froh und dankbar, die “Milchbar” zu sehen und sie begehen zu dürfen. Im KStA hatte ich von ihr mehrmals gelesen, auch über den Abbau und Wiederaufbau. Ein wunderschönes Stück Geschichte steht nun in Kommern. Vielen Dank für die Mühe, für diesen Artikel und die Links auf die YouTube-Videos!
Eine tolle Milch Bar die ich noch von meiner Jugendzeit kenne.
Lg Alisa
Schöner Beitrag. Nur nicht passend, wie ich die Plattentitel einer Musikbox studiere. Die steht nicht in der Milchbar, sondern in der “Gaststätte Watteler”, einem weiteren Magnet der Museumsbaugruppe “Marktplatz Rheinland”.
Vielen Dank für das Lob. Auf dem Foto sieht man aber tatsächlich die originale Musikbox in der Milchbar im Jahre 2013 und damit noch am Originalstandort!
In der Gaststätte Watteler steht allerdings ebenfalls eine Musikbox, die aus den 1970er-Jahren stammt und somit etwas jünger ist.