Große, tiefe Holzkästen mit Blumen oder Haarornamenten als Zimmerdekoration sind ein Brauch vergangener Tage. Sie dienen dem Gedenken an besondere Lebensereignisse und sind Zeugnisse einer Erinnerungskultur, die auf unscheinbare, sonst nicht erzählte Leben verweisen, zu denen kaum andere historische Spuren führen.[1]

LVR-Freilichtmuseum Kommern, Inv.Nr. 2016/24
Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Diese Kastenbilder zeigen meist kranz- oder halbkreisförmig angeordnete Blumenarrangements mit Verzierungen aus Textil in tiefen rechteckigen oder ovalen Kästen. Neben Namen und Lebensdaten finden sich auch Spruchverse, jedoch in aller Regel keine konfessionellen Bezüge.[2] Die enthaltenen Gegenstände wie Teile des Brautkranzes oder -schleiers sowie Haarlocken oder Haarornamente zur Totenerinnerung bilden die Brücke zur persönlichen Erinnerung.[3] Die Kränze sind geschmückt mit künstlichen Blumen, Pflanzen und Perlen. Als Totengedenken finden sich außerdem filigrane Haararbeiten aus den Haaren der Verstorbenen. In tiefen Rahmen werden sie aufbewahrt und als „Zimmerdenkmale“ aufgehängt. [4] Die Gegenstände werden ihrer ursprünglichen Funktion enthoben und zu persönlichen Relikten, die an vergangene Ereignisse und Personen erinnern.[5] Die Kränze haben weder Anfang noch Ende, sie umschließen ihr Inneres, sind das Symbol einer Verbindung.[6] Der Brautkranz galt als Symbol der Reinheit der Braut. Der Grabkranz begleitete den Träger oder die Trägerin bei seinem oder ihrem letzten Gang. Durch die Beigabe solcher Objekte wird die Besonderheit von Erinnerungsgegenstände wie den Kastenbildern hervorgehoben.[7]

LVR-Freilichtmuseum Kommern, Inv.Nr. 2016/264
Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards

LVR-Freilichtmuseum Kommern, Inv.Nr. 2016/269
Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
In der Sammlung des LVR-Freilichtmuseums Kommern befinden sich über 60 Kastenbilder. Die meisten sind als Erinnerungen an Vermählungen entstanden, einige enthalten Totenkränze. Der von den Bildern abgebildete Zeitraum umfasst die Jahre 1866 bis 1930. Dies entspricht dem allgemeinen Verbreitungszeitraum der Kastenbilder. Sie waren Besitztümer vor allem von katholischen Frauen im ländlichen Raum. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert hatten sie, anders als ihre protestantischen Verwandten[8], kaum die Möglichkeit ihre Leben in eine schriftliche Form zu bringen. Die Kastenbilder erzählen von der eigenen Hochzeit oder dem Tod naher Angehöriger und verweisen so auf diese prägenden Ereignisse der eigenen Biografie. Zugleich sind sie Ankerpunkte des Gedenkens.[9] Dies gilt auch für solche Bilder, die als Erinnerung an die kirchliche Primiz oder Profess entstanden sind, quasi der Hochzeit der Pfarrer mit der Kirche.[10]
Bei der Betrachtung der im Bestand des LVR-Freilichtmuseums Kommern befindlichen Kastenbilder fällt auf, dass meist die aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammenden Kastenbilder eine ovale Form aufweisen und eher schlicht gehalten sind.

LVR-Freilichtmuseum Kommern, Inv.Nr. 2016/144
Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Um die Jahrhundertwende nehmen die Kästen zunehmend eine eckige Form an, oft mit stark ausgearbeiteten Ecken. Die Bildinhalte sind nun stärker in Szene gesetzt, meist sehr aufwändig gestaltet und mit Spruchversen in den Ecken versehen.

LVR-Freilichtmuseum Kommern, Inv.Nr. 2016/160
Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Die aufkommende Fotografie führt ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Veränderungen in der Erinnerungskultur. Werden die neuen Lichtbilder zunächst noch zusätzlich in die Kästen eingefügt, ersetzen sie sie zunehmend.[11]

LVR-Freilichtmuseum Kommern, Inv.Nr. 2017/1180
Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-Theo Gerhards
Mit den Kastenbildern wurde der Furcht vor dem Vergessen Sorge getragen.[12] Ihr Wert liegt in der persönlichen Erinnerung an individuelle Leben. Mit schriftlichen Beigaben, aufgewertet durch Verzierungen, sollte den Betrachtenden ein Anstoß zum Erinnern gegeben werden.[13]
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Literaturverzeichnis
Aka, Christine: Zur frommen Erinnerung – Totengedenken als religiöses und individuelles Bedürfnis, in: Fischer, Kathrin/ Jochimsen, Margarethe (Hrsg.): Kastenbilder zum Gedenken an Hochzeit und Tod. Faszination eines vergangenen Brauchs, Münster, New York, München, Berlin 2013, S. 96-99.
Assmann, Aleida: Erinnerungsikonen – Brautkränze und Totengedenken im Spiegel des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses, in: Fischer, Kathrin/ Jochimsen, Margarethe (Hrsg.): Kastenbilder zum Gedenken an Hochzeit und Tod. Faszination eines vergangenen Brauchs, Münster, New York, München, Berlin 2013, S. 15-19.
Fischer, Kathrin/ Jochimsen, Margarethe: Einführung, in: Dies. (Hrsg.): Kastenbilder zum Gedenken an Hochzeit und Tod. Faszination eines vergangenen Brauchs, Münster, New York, München, Berlin 2013, S. 7-9.
Hänel, Dagmar: Von Bräuten und Helden, Toten und Opfern: Zur Symbolik des Kranzes, in: Fischer, Kathrin/ Jochimsen, Margarethe (Hrsg.): Kastenbilder zum Gedenken an Hochzeit und Tod. Faszination eines vergangenen Brauchs, Münster, New York, München, Berlin 2013, S. 27-38.
Jochimsen, Margarethe: Der Kranz auf Grün. Die zündende Begegnung, in: Fischer, Kathrin/ Jochimsen, Margarethe (Hrsg.): Kastenbilder zum Gedenken an Hochzeit und Tod. Faszination eines vergangenen Brauchs, Münster, New York, München, Berlin 2013, S. 11-14.
Sörries, Reiner: Zum Angedenken – Kranzkästen und Haarbilder als Folge es biedermeierlichen Familienkultes, in: Fischer, Kathrin/ Jochimsen, Margarethe (Hrsg.): Kastenbilder zum Gedenken an Hochzeit und Tod. Faszination eines vergangenen Brauchs, Münster, New York, München, Berlin 2013, S. 86-93.
Prosser-Schell, Michael: Übergangsriten Hochzeit und Tod mit einem vertiefenden Beispiel zur Bestattung der bei ihrer Geburt verstorbenen ungetauften Kinder, in: Fischer, Kathrin/ Jochimsen, Margarethe (Hrsg.): Kastenbilder zum Gedenken an Hochzeit und Tod. Faszination eines vergangenen Brauchs, Münster, New York, München, Berlin 2013, S. 20-26.
[1] Assmann, Erinnerungsikonen, S. 18.
[2] Sörries, Zum Angedenken, S. 88f.
[3] Assmann, Erinnerungsikonen, S. 16.
[4] Fischer/ Jochimsen, Einführung, S. 9.
[5] Jochimsen, Der Kranz auf Grün, S. 13.
[6] Prosser-Schell, Übergangsriten, S. 20.
[7] Hänel, Von Bräuten und Helden, S. 27, 36.
[8] Seit dem 17. und 18. Jahrhundert wurden Frauen in protestantischen Kreisen zunehmend alphabetisiert, auch um den Zugang zur Bibel sicher zu stellen.
[9] Assmann, Erinnerungsikonen, S. 16.
[10] Hänel, Von Bräuten und Helden, S. 33.
[11] Sörries, Zum Angedenken, S. 87.
[12] Aka, Zur frommen Erinnerung, S. 97.
[13] Assmann, Erinnerungsikonen, S. 15f.