Jahrmarktsgeschichte(n) anno Dazumal

Kirmes, Rummel, Jahrmarkt – für Volksfeste voller Schaubuden, Fahrgeschäfte und Essensstände gibt es im deutschen Sprachraum eine Vielzahl an Bezeichnungen. Obwohl diese heutzutage oft synonym verwendet werden, gibt es Feinheiten, nach denen diese Feste unterschieden werden. Während Kirmessen auf Wallfahrtstraditionen oder Kirchweihtage zurückgehen, haben Jahrmärkte ihren Ursprung auf den jährlich stattfinden Markttagen der Ortschaften und Regionen.

Obwohl sie damit aus unterschiedlichen kulturellen Phänomenen entstanden und bis heute unterschiedlichen Rechtsgrundlagen unterworfen sind, ist eine klare Trennung zwischen diesen Arten von Festen gegenwärtig kaum noch möglich. Zum einen werden die Bezeichnungen eher dem Wohlklang nach ausgewählt – weniger nach der historischen Abstammung der Veranstaltung – zum anderen wurden in vielen Orten die ursprünglich getrennten Feste zusammengeführt: Der Markttag wurde auf den Tag der Kirchweih gelegt oder umgekehrt. Mit diesen Festen verbundene Traditionen und Bräuche traten regional unterschiedlich in Erscheinung und wurden zum wichtigen Bestandteil sowohl ländlicher als auch städtischer Festtagskultur. Als wichtiger Bestandteil der (rheinischen) Festkultur bot sich das Phänomen „Jahrmarkt“ damit vorbildlich für eine Thematisierung im Museum an.

1983 – 1990 – 1995

Die Idee zur Inszenierung eines historischen Jahrmarkts kam in Kommern bereits früh auf. Anlässlich der 25-Jahr-Feier zur Gründung des Museums wurde 1983 erstmals ein Jahrmarkt in der Baugruppe Niederrhein ausgerichtet.

Schwarz-weiß Foto einer Riesenrad-Gondel, dahinter eine Wiese mit Kamelen vor einer Windmühle
Blick auf den ersten Jahrmarkt im Freilichtmuseum, 1983.
Foto: Archiv LVR-Freilichtmuseum Kommern

Aufgrund der positiven Bilanz, die aus dieser eigentlich einmalig geplanten Veranstaltung hervorging, entschieden sich die Mitarbeitenden wenige Jahre später, das Thema erneut aufzugreifen. Begleitend zur Sonderausstellung „Kirmestreiben. Ein Rhein-Landfest“ im Jahr 1990 erschien nicht nur ein gleichnamiger Begleitband[1], sondern es wurde den Besuchenden auch erneut die Möglichkeit geboten, historische Fahrgeschäfte und Spielbuden der rheinischen Jahrmarktsgeschichte in Aktion zu erleben. Dieser zweite Museumsjahrmarkt wurde aus der Baugruppe Niederrhein auf den Museumsplatz verlegt und fand umsäumt von den Ausstellungspavillons des Museums statt – erneut mit großem Erfolg.

Inszenierung eines Kinderkarussells mit verschiedenen Fahrzeugen (Wagen, Motorrad, Boot) und Tieren.
Inszenierung in der Sonderausstellung „Kirmestreiben. Ein Rhein-Landfest“, 1990.
Foto: Archiv LVR-Freilichtmuseum Kommern

Bald schon erwuchs daraus die Idee, das Kulturphänomen „Jahrmarkt“ als festen Teil in das Jahresprogramm des Museums aufzunehmen. Die inhaltliche Grundlage für ein zu verstetigendes Konzept wurde durch Dr. Michael Faber erarbeitet. Dieser hatte ein gutes Jahrzehnt zuvor seine Dissertationsschrift über verschiedene Aspekte des Schaustellerlebens im Köln-Bonner Raum verfasst[2] und konnte sein Fachwissen als wissenschaftlicher Referent im Museum einbringen. Am Osterfest 1995 fand schließlich zum ersten Mal ein Jahrmarkt im Freilichtmuseum Kommern unter dem Namen „Jahrmarkt anno dazumal“ statt.

Weg im Museumsgelände mit Besuchern, auf der rechten Bildhälfte ein Riesenrad, auf der linken ein Mäuse-Zirkus.
Aufnahme vom ersten „Jahrmarkt anno dazumal“, 1995.
Foto: Archiv LVR-Freilichtmuseum Kommern

Als Ausrichtungsort entschied sich das Museum erneut für den Museumsplatz, der in den 1990er-Jahren eine Fläche von über 2400 m2 bot. Die Halle der Dauerausstellung „WirRheinländer“ existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wodurch eine große Freifläche zwischen dem ehemaligen Eingangsgebäude (heute Waldpädagogikzentrum Eifel) und den übrigen Ausstellungsgebäuden zur Verfügung stand.

altes Kinderkarussell, im Hintergrund ein Riesenrad
Fahrgeschäfte 1997 auf dem Museumsplatz.
Foto: Archiv LVR-Freilichtmuseum Kommern

Lehrsame Unterhaltung

Grundvoraussetzung für die Durchführung eines historischen Jahrmarkts im Museum war die Priorisierung eines Vermittlungskonzepts. Der „Jahrmarkt anno dazumal“ sollte sich von anderen Jahrmärkten und Kirmessen nicht zuletzt dadurch unterscheiden, dass im Museum die Verbindung von Unterhaltung und Vermittlung eine hervorgehobene Rolle spielen sollte. Ein besonderes Augenmerk wurde hierzu nicht nur auf die Auswahl der Fahrgeschäfte gelegt, sondern vor allem auf den Einsatz artistischer Darbietungen.

Mann liegt auf dem Boden, bläst Luft in eine Wärmflasche. Auf ihm liegt ein Brett, auf dem ein Auto mit einem Rad steht
„Der starke Mann“ Georges Christen, 2015
Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern, Hans-

Durch die Auftritte von Artist*innen, die in den 1990er-Jahren kaum noch auf kommerziellen Jahrmärkten zu finden waren, sollte ein Mehrwert geschaffen werden, der neben dem Erlebnis auch das Schaustellerleben selbst in den Blick nahm. Das Museum versteht die Veranstaltung bis heute als Möglichkeit zum Erhalt historischer, nostalgischer und „aus der Mode gekommener“ Unterhaltungsangebote, die mit den technisch aufwändig ausgestatteten Neuheiten der modernen Jahrmärkte lange Zeit nicht konkurrieren konnten oder wollten.

altes Riesenrad auf einer Wiese mit blühenden Obstbäumen
Russische Schaukel des Schaustellers Feldmann mit Tafel zur Objektgeschichte, 2014
Foto: Archiv LVR-Freilichtmuseum Kommern

Der Aufbau der Geschäfte und Buden orientiert sich an mehreren Zeitschnitten, die die Entwicklung des Jahrmarkts vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart abbildet und Entwicklungslinien nachzeichnen soll. Zudem wurden nach und nach Texttafeln zu den einzelnen Fahrgeschäften angefertigt, auf denen die Geschichten von Fahrtgeschäftstypen im Allgemeinen und der individuellen Geschäfte im Besonderen erläutert werden.

Feuerspucker im Einsatz
Gaukler Gilbert in der Baugruppe Westerwald, 2014
Foto: Archiv LVR-Freilichtmuseum Kommern

2023 erweiterte das Museum das Ausstellungsmoment der Veranstaltung um großformatige Ausstellungswände, die wichtige Themeneinheiten rund um das Thema Jahrmarkt beleuchten.

Von Feuerspuckern und Hochseiltänzerinnen

Durch die Bemühungen des Museums, nicht nur historische Fahrgeschäfte und Spielbuden zu erhalten, sondern vor allem Artistinnen und Gauklern eine Bühne zu bieten, entwickelte sich der „Jahrmarkt anno dazumal“ schnell zu einem Treffpunkt für Schaustellende aller Branchen. 

Die in Kommern gebotene Möglichkeit der Vernetzung von Schaustellerinnen und Schaustellern trug einen wichtigen Teil dazu bei, dass sich 2003 die „Historische Gesellschaft Deutscher Schausteller“ gründen konnte. Hier vereinten sich Akteurinnen und Akteure, „die sich die Pflege und Aufarbeitung der Kultur und Tradition unseres historischen Schaustellergewerbes zur Aufgabe gemacht haben. […] Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, den Stellenwert in der Öffentlichkeit zu verbessern, damit die Tradition unseres Schaustellergewerbes und die der Schaustellergeschäfte endlich als erhaltenswertes, historisches Kulturgut anerkannt und öffentlich gefördert wird.“[3]

Zu den bekanntesten und beständigsten Teilnehmern in Kommern gehört seit Mitte der 1990er-Jahre der Gaukler Gilbert: Er bekam durch die Anfrage des Museums bei einem der ersten Jahrmärkte den Impuls, nicht mehr nur als reiner Straßen- und Engagement-Artist, sondern auch auf historischen Jahrmärkten aufzutreten. Hierzu entwickelte er eine Show, für die er bis heute auf vielen Jahrmärkten bekannt ist: Ein Mix aus Feuerspucken, Luftballonmodellieren für Kinder und Zauberei fasziniert die Besuchenden ebenso, wie sein Flohzirkus mit der imaginären Flohdame Fifine.

Feuerspucker im Einsatz
Gaukler Gilbert in der Baugruppe Westerwald, 2014
Foto: Archiv LVR-Freilichtmuseum Kommern

Auch den Flohzirkus Birk, der heute als ältester Flohzirkus Europas gilt, konnte mehrmals als Attraktion für den „Jahrmarkt anno dazumal“ gewonnen werden. Familie Birk hatte den Flohzirkus aus dem Jahr 1948 lange Zeit nur auf dem Münchner Oktoberfest betrieben. Nach hartnäckigen Bemühungen durch Michael Faber, einen Auftritt des Flohzirkus im Freilichtmuseum zu arrangieren, willigte der bis dahin als Speditionsunternehmer tätige Robert Birk in ein erstes Arrangement auf einem Jahrmarkt ein. Heute ist er auf zahlreichen historischen Jahrmärkten zugegen und führt die Tradition des ehemaligen Wanderzirkus weiter.

„Floh-Zirkus“ Birk im Jahr 2013.
Foto: Archiv LVR-Freilichtmuseum Kommern

Zu den international bekanntesten Acts des Jahrmarkts gehört sicherlich die Hochseilgruppe „Geschwister Weisheit“. Auf dem „Jahrmarkt anno dazumal gastierte das Ensemble von 1995 bis 2022 insgesamt neun Mal. Die Geschichte der Familie ist seitdem eng mit der des Museums verbunden: So feierte Lenny Weisheit während des Gastspieles 2018 in Kommern mit gerade einmal vier Jahren seine Premiere auf dem Hochseil. Seine Schwester Ruby Weisheit wurde im gleichen Jahr im LVR-Freilichtmuseum Kommern getauft und damit Teil einer alten Tradition: Bis heute lassen viele Schaustellerfamilien ihre Kinder auf dem ersten Jahrmarkt taufen, an dem diese als Neugeborene teilnehmen.

Ein Motorrad in luftiger Höhe auf einem Drahtseil. Auf dem Motorrad sitzt ein Akrobat. Unter dem Motorrad hängt ein Gestell, auf dem ein Mann und eine Frau stehen. In der unteren Bildhälfte Besucher und Schaustellerbuden sowie ein Fahrgeschäft. Im Hintergrund ein Riesenrad.
Die „Geschwister Weisheit“ bei ihrem zweiten Auftritt in Kommern, 1997
Foto: Archiv LVR-Freilichtmuseum Kommern

Der „Jahrmarkt anno dazumal“ gehört seit nunmehr 28 Jahren zum festen Programm des Freilichtmuseums und ist zu einem der Bekanntesten der Region geworden. Für Dr. Michael Faber, Begründer der Jahrmarktstradition im Freilichtmuseum, sind historisch orientierte Details bei der Ausstellung der Objekte und Fahrgeschäfte sowie eine kritische, bildungsorientierte Ausrichtung der Veranstaltung bis heute Dreh- und Angelpunkt. Durch die hierdurch mögliche Kombination aus Flair und Fakten entsteht eine wichtige Chance zur Bildung der Museumsgäste.


[1] Michael Faber/Gabriele Harzheim (u.a.): Kirmestreiben. Ein Rhein-Landfest. Köln 1990.

[2] Michael Faber: Schausteller. Volkskundliche Untersuchung einer reisenden Berufsgruppe im Köln-Bonner Raum. Bonn 1981.

[3] https://historische-gesellschaft.org (abgerufen am 13.03.2023, 13:30 Uhr)

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