Jahrmärkte nach 1945
Bereits Anfang der 1950er-Jahre begann eine neue Ära im Karussellbau. Durch neue technische Entwicklungen und das Nutzen des Wissens um Pneumatik und Hydraulik konnten die Bewegungsabläufe der Fahrgeschäfte erweitert werden. Der erste „Hurricane“ von 1951 erlaubte als Flugkarussell jedem Fahrgast die eigenhändige Steuerung der Flughöhe seines Auslegers. Das 1957 präsentierte Fahrgeschäft „Round up“ nutzte hingegen Fliehkräfte, um die stehenden Fahrgäste in Gitterkörbe zu drücken, während die sich drehende Scheibe in eine Schräglage gebracht wurde. Ein Jahr später wurde „Calypso“ vorgestellt, ein Fahrgeschäft mit einer geneigten, sich drehenden Scheibe, auf welcher vier Einzeldrehwerke mit je vier Gondeln montiert worden waren.[1]

Foto: Vancouver Public Library Historical Photographs. Public Domain. 11.08.2015.
Konstruiert wurden die immer neuen Fahrgeschäfte oftmals von deutschen Herstellern wie den Firmen Hennecke, Mack oder Klaus. Sie schlossen die Marktlücke im Bereich des Karussellbaus in der BRD, die sich mit der Teilung Deutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auftat. Die vormals wichtigsten Herstellerfirmen Gundelwein, Heyn und Hitzig lagen nun im Staatsgebiet der DDR. Nach wie vor war der Karussellbau jedoch sogenannte Auftragsarbeit. Auch wenn einzelne Teile seriell produziert werden konnten und die verschiedenen Firmen bestimmte Fahrgeschäftstypen in ihren Firmenportfolios anboten, war der Bau eines Fahrgeschäfts immer an einen konkreten Auftrag gebunden. So konnten auch die Fassaden individuell nach den Vorstellungen der Auftraggeber gestaltet werden.[2]
Die neuen, schnellen Rundfahrgeschäfte entsprachen dem Zeitgeist, trafen den Geschmack vieler Jugendlicher und entwickeln sich so schnell zu Anziehungspunkten. Die Mischung aus der Schnelligkeit der Fahrgeschäfte und aktueller Musik ließen insbesondere die Raupenbahnen in den 1950er-Jahren zu den Treffpunkten für die Jugend werden. Anfang der 1970er-Jahre nahm ihnen der neue „Musikexpress“ diese Funktion ab. Er konnte eine noch höhere Fahrgeschwindigkeit und die beliebte Beat- und Hard Rock-Musik der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre vorweisen.[3]

Foto: Dirk Vorderstraße. CC BY-SA 2.0. 11.11.2012.
Großen Anklang bei den Gästen fanden außerdem die Autoscooter, die erstmals in den 1920er-Jahren auf deutschen Jahrmärkten präsentiert wurden. Diese frühen Bautypen der Zwischenkriegszeit standen auf Holzpfosten. Die Bildträger der Dachkanten wurden durch Lichterketten betont und zeigten neben menschlichen und tierischen Darstellungen auch zeitgenössische Automobile.[4]

Foto: Jörg Blobelt. CC BY-SA 4.0.
Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich neben der Gestaltung der Dekorationen vor allem die Bauweise der Scooterhallen. Ab 1954 wurden die Holzpfosten durch sechs Gittermast-Stahlsäulen ersetzt. Die neuen Säulen wurden mit verkleideten Neonröhren in die äußere Gestaltung der Fahrgeschäfte miteingebunden. In den 1960er- und 1970er-Jahren entwickelten die Herstellerfirmen neue Hallen zunächst mit acht, später nur noch mit zwei Säulen. Während die Acht-Säulen-Scooter durch die verkleinerten Bauteile leichter und transportabler wurden, bot das Zwei-Säulen-System schließlich die Möglichkeit, die Dachkonstruktion zusammen mit den Dekorationselementen ineinander zu klappen. Die Dekorationen der Hallen passten sich, neben neuen geschmacklichen Einflüssen, diesen Konstruktionsveränderungen an . Bis 1952 wurden die Fassaden noch in Einzeltafeln unterteilt und mit Glühbirnen umrandet, ähnlich den Vorkriegsmodellen. Die neuen Hallenkonstruktionen erlaubten in der Gestaltung nun jedoch die Verarbeitung langer Neonröhren, welche vor geometrische Muster gesetzt wurden. Ab der Mitte des Jahrzehnts wurden schließlich auch die Säulen in die äußere Aufmachung miteinbezogen, mit transparentem Kunststoff verkleidet und von innen beleuchtet. Bis Anfang der 1960er-Jahre wurden die Dekorationen in ihrer Farbigkeit und der Formsprache immer schlichter, bis in den 1970er-Jahren der Weg zurück zu dekorativen Mustern gefunden wurde.[5] Seit den 1980er-Jahren trat schließlich die Beleuchtung zugunsten einer stärkeren Farbigkeit zunehmend in den Hintergrund.6]

Literatur
Dering, Florian: Volksbelustigungen. Eine bildreiche Kulturgeschichte von den Fahr-, Belustigungs- und Geschicklichkeitsgeschäften der Schausteller vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Nördlingen 1986.
Meiners, Uwe: Pferdekarussell und Raupenbahn. Historische Ikonen der Jahrmarktskultur, in: Ziessow, Karl-Heinz/ Meiners, Uwe (Hrsg.): Zur Schau gestellt. Ritual und Spektakel im ländlichen Raum, Cloppenburg 2003, S. 325-349.
Ramus, Margit: Autoskooter ab 1920er Jahre, in: Kulturgut Volksfest
Wissenschaftliche Enzyklopädie / Digitales Archiv, 2023; online unter URL: https://kulturgut-volksfest.de/enzyklopaedie/autoskooter-ab-1920er-jahre/; zuletzt eingesehen am: 15.03.2023.
Dies.: Autoskooter ab 1971 Zwei-Säulen, in: Kulturgut Volksfest
Wissenschaftliche Enzyklopädie / Digitales Archiv, 2023; online unter URL: https://kulturgut-volksfest.de/enzyklopaedie/autoskooter-ab-1971-zwei-saeulen/; zuletzt eingesehen am: 15.03.2023.
[1] Dering, Volksbelustigungen, S. 74-75, 99-107.
[2] Ebd., S. 74-75.
[3] Meiners, Pferdekarussell, S. 336-339.
[4] Ramus, 1920er Jahre.
[5] Dering, Volksbelustigungen, S. 130, 212-218.
[6] Ramus, Ab 1971.